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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24

Der Fatalismus als Zeitschädling

[ 1 ] Man wird nicht leugnen können, daß in Mitteleuropa die Zahl der Menschen immer größer wird, deren kulturpolitisches Glaubensbekenntnis in den Fatalismus einmündet. Sie sagen: Wir müssen durch die weitere Zerstörung, durch das noch größere Chaos durch, bevor wir wieder zu einer fruchtbaren Entwickelung des öffentlichen Lebens kommen können. Sie sehen aus der Ratlosigkeit, aus der Verworrenheit, in die wir mit jeder Woche mehr hineintreiben, daß aus den Meinungen der alten Parteiführer, aus den Anschauungen derjenigen, welche bisher aus dem Gang der Ereignisse in leitende Stellungen geschoben worden sind, nichts Fruchtbares geschaffen werden kann. Das veranlaßt sie aber nicht, die Zuflucht zu suchen bei Ideen, die aus den Grundbedingungen des sozialen Lebens erkennend einen Neu-Aufbau herbeiführen wollen, sondern es bringt sie nur dazu, auf ein Nebelhaftes, Unbestimmtes zu hoffen, das dann eintreten werde, wenn die Not, die Verwirrung noch größer geworden sein werden.

[ 2 ] Wer solche Ideen vorbringt, dem entgegnen sie: Die Erlösung kann nicht von den Gedanken einzelner Träumer kommen, sie muß aus den Tiefen des Volkswillens heraus sich ergeben. Es ist, als ob sich solche Menschen loskaufen möchten von der Mühe des Durchdenkens fruchtbarer Ideen durch diesen Ruf nach dem «Volkswillen». Sie durchschauen nicht, was aus diesem «Volkswillen» heute sich entwickelt. Sie erkennen nicht, wie dieser Volkswille, um nicht in das Wesenlose seine Kraft zu zersplittern, der Befruchtung durch die leitenden Ideen bedarf. Sie wollen die Ideen nicht; deshalb warten sie auf das Wunder des ideenlosen Volkswillens.

[ 3 ] In der letzten Zeit konnte man noch einen anders ausgedrückten politischen Wunderglauben ausgesprochen hören. Man bemerkte, daß aus alten Parteigedanken keine aussichtsvollen politischen Handlungen sich ergeben. Man erkannte die Unfruchtbarkeit in dem Tun oder eigentlich in dem Nichttun der führenden Persönlichkeiten, die aus dem Schoße des Parteiwesens zur Führung aufsteigen. Aus dieser Erkenntnis heraus ruft man nach «Fachleuten», die aus irgendwelchen parteifreien Einsichten die Tatenlosigkeit durch Schöpfungen fruchtbarer Art ersetzen sollen.

[ 4 ] Man hat also die Vorstellung, daß es solche «Fachleute» gibt. Man brauche sich nur an sie zu wenden, ihnen die «Geschäfte» zu übertragen. Wenn sie, unbeeinflußt durch die Parteiworte von links und rechts die Räder des politisch-sozialen Lebens lenken, dann werde es zu etwas führen. Man sieht nicht, daß unsere Not gerade dadurch veranlaßt ist, daß die Ideen der alten Fachleute in eine Sackgasse gekommen sind. Dieses «Fachwissen» hat doch die völlige Richtungslosigkeit bewirkt.

[ 5 ] Es tritt da derselbe Irrtum zutage, der auf einem andern Gebiete, dem der Volkserziehung, wirkt. Man redet von der Notwendigkeit, Aufklärung durch «Volkshochschulen» zu schaffen. Man setzt voraus, daß die Erkenntnisse, welche durch die bisherige Entwickelung an die Oberfläche des öffentlichen Lebens getrieben worden sind, nur verbreitet werden sollen. Dann werden sie aus den breiten Massen heraus das Wunder der Besserung wirken. Man sollte sich sagen, daß aus diesen «Erkenntnissen» unsere trostlose Lage sich ergeben hat und daß die Trostlosigkeit nicht schwinden, sondern zunehmen werde, wenn das, was bei einer führenden Schicht nichts gefruchtet hat, in den breiten Massen sein Unwesen wuchern lassen werde. Zu «Volkshochschulen» hat man eine Erneuerung des Wissens vor allem nötig, einen geistigen Neubau. Erst muß an den Umschwung dessen gedacht werden, was in den Volkshochschulen gelehrt werden soll, bevor man an diese selbst herangehen kann.

[ 6 ] Daß eine Wandlung in den Gedanken eintreten müsse, dazu will man sich nicht bekennen. Man möchte sich damit begnügen, neue Formen für die Pflege der alten Gedanken zu gewinnen. Es ist, als ob man mit allen Mitteln darnach suchte, die neuen Gedanken keiner Prüfung unterwerfen zu müssen. Die nach «Fachleuten» für die leitenden Stellen rufen, sagen wohl auch, nach solchen müsse man sich umsehen, damit das Vertrauen im Auslande wiederhergestellt werde. Man glaubt, in England und Amerika werde man uns Kredite gewähren, wenn erst solche Fachleute Bürgen sein können für die rechte Verwendung dieser Kredite.

[ 7 ] Das Ausland wird sich ganz gewiß nicht darum kümmern, ob die Persönlichkeiten, die mit ihm von Mitteleuropa aus zu verhandeln haben, aus den alten Verhältnissen heraus als «Fachleute» abgestempelt sind. Es hat sich vor 1914 um diese «Fachleute» nicht gekümmert und wird dies auch 1920 nicht tun. Das Ausland wird erst anfangen aufzuhorchen, wenn aus dem mitteleuropäischen Gebiet fruchtbare Ideen aufleuchten. Aber auch diese ganze heutige Rederei vom Vertrauenherstellen im Auslande ist nur eine Folge der Flucht vor den Ideen bei uns selber. Man will sich nicht aufraffen zur Stellungnahme gegenüber den Ideen. Aus diesem Grunde ruft man nach Leuten, die man nicht daraufhin ansieht, was sie zu sagen haben, sondern die aus ungeprüften Verhältnissen heraus als «Fachleute» abgestempelt sind. Man will nicht suchen, wie man einen Neu-Aufbau bewirken könne; man will auf die erlösende Wendung warten, die wie eben ein Wunder kommen soll. Man wird nur erleben, daß die «Fachleute» nach einiger Zeit die Unfruchtbarkeit ihrer «Fächer» zur Offenbarung bringen werden und daß in der bis dahin verfließenden Zeit das Chaos ein noch größeres geworden ist.

[ 8 ] Gegen diese Flucht und Furcht vor Ideen kämpft die Bewegung für die Dreigliederung des sozialen Organismus, seit sie es versucht hat, sich in das öffentliche Leben hineinzustellen. Deren Träger mußten von Anfang an sagen, daß alle die Experimente, die im sozialen Leben versucht werden in Anlehnung an die Ideen, die unser Unglück mitverschuldet haben, zu nichts führen können. Wer sehen will, wie sich die Verhältnisse nach dem sogenannten Friedensschlusse entwickelt haben, der müßte doch endlich zu der Einsicht geführt werden, daß die Art, wie sich diese Träger der Dreigliederungs-Idee zu den hoffnungslosen Neubau-Versuchen gestellt haben, durch die Tatsachen eine gewisse Bestätigung gefunden hat.

[ 9 ] Nicht das Warten auf ein Wunder, das - niemand weiß woher - kommen soll, sondern allein der Wille zu leitenden Ideen kann uns weiterführen. Der Fatalismus, bei dem wir angekommen sind, ist das allerbedenklichste Zeichen der Zeit. Denn er lähmt den Willen zu den leitenden Ideen. Und geht diese Lähmung weiter, dann treten die zerstörenden Instinkte an die Stelle der aufbauenden Vernunft. Und aus dieser Willenslähmung kann zuletzt nur der völlige Untergang kommen. Weiter, als sich viele gestehen, sind wir bereits auf dem Wege, den die zerstörenden Instinkte gehen. Es gibt einen Punkt auf diesem Zerstörungswege, auf dem nicht das «Wunder» entstehen wird, sondern auf dem so viele Ohren taub sein werden für die Vernunft, daß diese sich nicht mehr wird hörbar machen können. Heute sind wohl noch nicht die Ohren taub; aber der Wille läßt die Hörkraft nicht zur Geltung kommen. Deshalb muß immer von neuem betont werden: Die Rettung kann nur kommen, wenn eine genügend große Anzahl von Menschen von dem Willen ergriffen wird, an der Umwandlung der Denkungsart mitzuarbeiten. Wer vor dieser Arbeit zurückschreckt, kann nicht in Betracht kommen gegenüber dem, was in der Gegenwart für die Entwickelung der Menschheit notwendig ist.

Fatalism as a Pestilence of the Times

[ 1 ] It cannot be denied that the number of people in Central Europe whose cultural-political creed leads to fatalism is growing. They say: We have to get through further destruction, through even greater chaos, before we can return to a fruitful development of public life. They see from the helplessness, from the confusion into which we are drifting more and more with every week, that nothing fruitful can be created from the opinions of the old party leaders, from the views of those who have so far been pushed into leading positions by the course of events. But this does not cause them to seek refuge in ideas which, recognizing the basic conditions of social life, seek to bring about a new structure, but only leads them to hope for something nebulous and indeterminate, which will come about when the distress and confusion have become even greater.

[ 2 ] They reply to those who put forward such ideas: Redemption cannot come from the thoughts of individual dreamers, it must arise from the depths of the will of the people. It is as if such people want to buy themselves out of the trouble of thinking through fruitful ideas through this call for the "will of the people". They do not see through what is developing from this "will of the people" today. They do not recognize how this will of the people needs to be fertilized by the leading ideas in order not to fragment its power into something insubstantial. They do not want the ideas; that is why they are waiting for the miracle of the will of the people without ideas.

[ 3 ] In recent times, one could hear a differently expressed belief in political miracles. It was noticed that no promising political action could be derived from old party ideas. One recognized the unfruitfulness in the actions, or actually in the inaction, of the leading personalities who rise to leadership from the womb of the party system. This realization has led to calls for "experts" to replace inaction with fruitful creations based on some kind of non-party insight.

[ 4 ] The idea is that such "experts" exist. All you have to do is turn to them and entrust them with your "business". If they steer the wheels of political and social life, uninfluenced by party words from left and right, then it will lead to something. We fail to see that our plight is caused precisely by the fact that the ideas of the old experts have reached a dead end. This "expertise" has led to a complete lack of direction.

[ 5 ] The same error occurs here that is at work in another field, that of popular education. People talk about the need to create enlightenment through "folk high schools". It is assumed that the knowledge which has been brought to the surface of public life by previous developments should only be disseminated. Then they will work the miracle of improvement from the broad masses. One should say to oneself that our bleak situation has resulted from these "insights" and that the bleakness will not diminish but will increase if what has borne no fruit with a leading class is allowed to proliferate in the broad masses. What is needed above all is a renewal of knowledge, a new intellectual construction. We must first think about the change in what is to be taught in the adult education centers before we can approach them ourselves.

[ 6 ] The fact that a change in thought must occur is not something we want to admit. One wants to be content with gaining new forms for the cultivation of old thoughts. It is as if every effort is being made to avoid having to subject the new ideas to scrutiny. Those who are calling for "experts" for the leading positions are probably also saying that we have to look for them in order to restore confidence abroad. It is believed that loans will be granted to us in England and America once such experts can be guarantors for the correct use of these loans.

[ 7 ] Foreign countries will certainly not care whether the personalities who have to negotiate with them from Central Europe are labeled as "experts" based on the old circumstances. It did not care about these "experts" before 1914 and will not do so in 1920 either. Foreign countries will only start to take notice when fruitful ideas emerge from Central Europe. But all this talk today of building confidence abroad is only a consequence of the flight from ideas at home. We do not want to take a stand against the ideas. For this reason, we call for people who are not looked at for what they have to say, but who are labeled as "experts" out of untested circumstances. People do not want to look for ways to bring about a new reconstruction; they want to wait for the redeeming turn of events that is supposed to come like a miracle. We will only see that after some time, the "experts" will reveal the barrenness of their "subjects" and that in the time that has passed by then, the chaos will have become even greater.

[ 8 ] The movement for the threefolding of the social organism has been fighting against this flight and fear of ideas ever since it attempted to enter public life. Its supporters had to say from the beginning that all the experiments attempted in social life on the basis of the ideas that have contributed to our misfortune can lead to nothing. Anyone who wants to see how conditions have developed since the so-called peace treaty should finally be led to the realization that the way in which these bearers of the threefold idea have approached the hopeless attempts at new construction has found a certain confirmation in the facts.

[ 9 ] Not waiting for a miracle that - no one knows where from - is supposed to come, but only the will for guiding ideas can lead us further. The fatalism we have arrived at is the most alarming sign of the times. For it paralyzes the will to the guiding ideas. And if this paralysis continues, then destructive instincts take the place of constructive reason. And this paralysis of the will can only lead to complete destruction. We are already further along the path of destructive instincts than many admit. There is a point on this path of destruction where the "miracle" will not occur, but where so many ears will be deaf to reason that it will no longer be able to make itself heard. Today the ears are not yet deaf, but the will does not allow the power of hearing to come into its own. That is why it must always be emphasized anew: Salvation can only come if a sufficiently large number of people are seized by the will to cooperate in the transformation of the way of thinking. Those who shy away from this work cannot consider what is necessary for the development of humanity in the present.