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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29

Automated Translation

Dramaturgische Blätter 1898, Volume I, 3

10. Vienna's Burgtheater Crisis

In Vienna, the Burgtheater crisis has been a daily issue for weeks. By the time these lines appear, it may already have found its solution. But how this solution turns out is not the really interesting thing. Something quite different must excite those who take an interest in the development of the theater. For if, as it seems at the moment, Paul Schlenther replaces the previous director of the Burgtheater, Max Burckhard, there can be no question of artistic considerations having played any part in the solution to this question. And that is the sad thing, that things that should only be decided from the point of view of artistic interest are being made dependent on sympathies and antipathies that have nothing to do with art.

When Dr. Max Burckhard took office, no one with understanding could stand up for him. Of all the candidates considered at the time, he must have seemed the least suitable. One could have no other opinion than that he had no relation to either dramatic literature or practical theater. And the first steps he took as director could only confirm such an opinion. He showed himself to be a dilettante in every respect. The roles he cast were almost unbelievable.

The old master of Viennese theater criticism, Ludwig Speidel, rarely used such harsh words of condemnation as he did towards Burckhard's management. As often as he made himself heard in the pages of the "Neue Freie Presse", one could read a bitter dismissal of the new director. But the improbable happened: Ludwig Speidel converted to Max Burckhard. This marked the course of Burckhard's development during his directorship. He has turned the antipathy of knowledgeable people into sympathy. Today, art connoisseurs are his friends and supporters. He has proven that the office gives the mind. He has settled into art. So much so that such a fine connoisseur of the theater as Paul Schlenther can hardly do anything other than continue to lead the Hofbühne in the way Burckhard did. When Schlenther takes Burckhard's place, all that will have happened is that a personality who has become unpopular will have been replaced by a temporarily popular one. The artistic achievements of the Vienna Burgtheater can hardly be given a new character by Paul Schlenther. Indeed, it must even be considered a stroke of luck if the previous director is replaced by the Berlin critic. It could just as well have been that the clique hostile to Burckhard had once again appointed some dilettante to the important post; and it is doubtful that the stroke of luck would have happened a second time, that the dilettante would have become an important expert in a relatively short time.

There are people of whom one can say: they can do whatever they want. Burckhard seems to be one of them. But these people are quite rare. If you have one, you should hold on to him and give him the opportunity to develop his strengths. Instead, Burckhard is torn from his position at the very moment when he begins to show off his unique personality to the full.

It is a well-known fact that Burckhard had to fight for seven years against cliques of actors who were hostile to him, but who were so influential that they could cause the director immense difficulties. Burckhard fought these cliques with energy and achieved many excellent things against their will. If he was not victorious in the end, it can hardly be assumed that a new man will fight the battle with more luck.

The task of the Burg director today is to adapt this unique art institution to the new circumstances. The public will be just as happy with the new forms of drama as with the new forms of acting if they realize that the reform is based on artistic intentions. The public is much less conservative in artistic matters than the so-called "authoritative circles". The public has been forced to understand Arnold Böcklin! Those who only a few years ago would shrug their shoulders as they walked past Böcklin's Pieta now stand before it in adoration, as they always did before the Sistine Madonna. The audience of the Burgtheater will easily be won over to show as much interest in modern art as in the old. Max Burckhard has worked on this development of taste with skill and insight. He should not have been disturbed in his work.

WIENER BURGTHEATER-KRISIS

In Wien ist die Burgtheaterkrisis seit Wochen eine Tagesfrage. Wenn diese Zeilen erscheinen, wird sie vielleicht bereits ihre Lösung gefunden haben. Wie diese Lösung ausfällt, ist aber nicht das eigentlich Interessante an der Sache. Etwas ganz anderes muß diejenigen erregen, die an der Entwickelung des Theaterwesens Anteil nehmen. Denn wenn, wie es augenblicklich scheint, Paul Schlenther den bisherigen Direktor des Burgtheaters, Max Burckhard, ablöst, so kann gar nicht davon die Rede sein, daß künstlerische Gesichtspunkte bei der Lösung dieser Frage mitgespielt haben. Und das ist das Traurige, daß hier Dinge, die nur vom Standpunkte des Kunstinteresses aus entschieden werden sollten, von Sympathien und Antipathien abhängig gemacht werden, die mit der Kunst nichts zu tun haben.

Als Dr. Max Burckhard ins Amt trat, konnte kein Verständiger für ihn eintreten. Von allen Kandidaten, die damals in Betracht kamen, mußte er als der am wenigsten geeignete erscheinen. Man konnte keine andere Meinung haben, als daß er weder zur dramatischen Literatur noch zu dem praktischen Theaterwesen irgendwelches Verhältnis habe. Und die ersten Schritte, die er als Direktor unternahm, konnten eine solche Meinung nur bestätigen. Er zeigte sich in jeder Beziehung als Dilettant. Die Rollenbesetzungen, die er vornahm, waren geradezu unglaublich.

So scharfe Worte der Verurteilung, wie der Direktionsführung Burckhards gegenüber, hatte der Altmeister der Wiener Theaterkritik, Ludwig Speidel, selten angewendet. Sooft er unter dem Strich der «Neuen Freien Presse» sich vernehmen ließ, konnte man eine bittere Abfertigung des neuen Direktors lesen. Aber es hat sich das Unwahrscheinliche ereignet: Ludwig Speidel hat sich zu Max Burckhard bekehrt. Damit ist der Entwicklungsgang Burckhards während seiner Direktion gekennzeichnet. Er hat die Antipathien der verständigen Leute in Sympathien verwandelt. Die Kunstkenner sind heute seine Freunde und Anhänger. Er hat den Satz bewiesen, daß das Amt den Verstand gibt. Er hat sich in die Kunst eingelebt. So eingelebt, daß ein so feiner Kenner des Theaters wie Paul Schlenther kaum wird etwas anderes tun können, als die Hofbühne in dem Sinne weiterzuleiten, in dem sie Burckhard zuletzt geführt hat. Es wird, wenn Schlenther an Burckhards Stelle getreten sein wird, nichts anderes geschehen sein, als daß eine mißliebig gewordene Persönlichkeit-durch eine vorläufig beliebte abgelöst sein wird. Die künstlerischen Leistungen des Wiener Burgtheaters können durch Paul Schlenther kaum ein neues Gepräge erhalten. Ja, es muß sogar als ein Glücksfall bezeichnet werden, wenn der bisherige Direktor durch den Berliner Kritiker abgelöst wird. Es hätte ebensogut sein können, daß die Burckhard-feindliche Clique wieder irgendeinen Dilettanten an den wichtigen Posten gesetzt hätte; und es ist zu bezweifeln, daß sich der Glücksfall zum zweitenmal ereignet hätte, daß aus dem Dilettanten in verhältnismäßig kurzer Zeit ein bedeutender Könner wird.

Es gibt Leute, von denen man sagen kann: sie können, was sie wollen. Burckhard scheint zu ihnen zu gehören. Aber diese Leute sind doch recht selten zu finden. Wenn man einen hat, sollte man ihn festhalten und ihm die Möglichkeit bieten, seine Kräfte zu entfalten. Statt dessen reißt man Burckhard in dem Augenblicke aus dem Amte, in dem er eben beginnt, das Eigenartige seiner Persönlichkeit voll zur Geltung zu bringen.

Es ist eine bekannte Tatsache, daß Burckhard sieben Jahre lang gegen ihm feindlich gesinnte Schauspieler-Cliquen zu kämpfen hatte, die aber so einflußreich sind, daß sie dem Direktor ungeheure Schwierigkeiten bereiten können. Burckhard hat die Widerhaarigkeit dieser Cliquen mit Energie bekämpft und manches Vortreffliche gegen ihren Willen geleistet. Wenn er zuletzt doch nicht Sieger geblieben ist, so ist kaum anzunehmen, daß ein neuer Mann den Kampf mit mehr Glück führen werde.

Die Aufgabe des Burgdirektors ist heute, diese einzige Kunstanstalt den neuen Verhältnissen anzupassen. Das Publikum wird mit den neuen Formen der Dramatik ebensowohl wie mit den neuen Formen der Schauspielkunst einverstanden sein, wenn es bemerkt, daß der Reform künstlerische Absichten zugrunde liegen. Das Publikum ist viel weniger konservativ in Kunstsachen als die sogenannten «maßgebenden Kreise». Dem Publikum hat man das Verständnis für Arnold Böcklin aufgezwungen! Diejenigen, welche noch vor wenigen Jahren achselzuckend vor Böcklins Pieta vorübergingen, stehen heute anbetend vor ihr, wie sie es immer getan haben vor der Sixtinischen Madonna. Das Publikum des Burgtheaters wird leicht dafür zu gewinnen sein, der modernen Kunst ebensoviel Interesse entgegenzubringen wie der alten. An dieser Entwickelung des Geschmackes hat Max Burckhard mit Geschick und Einsicht gearbeitet. Man hätte ihn in seiner Arbeit nicht stören sollen.