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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29

Automated Translation

Magazin für Literatur 1898, Volume 67, 38

90. “Cyrano von Bergerac”

Romantic comedy in five acts by Edmond Rostand. German by Ludwig Fulda
Performance at the Deutsches Theater, Berlin

Edmond Rostand's "Cyrano von Bergerac" was performed at the Deutsches Theater on September 14. I actually have no real reason to talk about this drama on the occasion of this performance. For a performance like this only gives a distorted picture of this fine work of art. This Cyrano is half hero and half caricature; in the German theater everything has been done to make the hero unrecognizable through caricature. Nothing, absolutely nothing, of the tragicomedy that Rostand meant comes to light in the German theater. Everything is misunderstood, everything big and everything small. The style in which the drama must be presented is out of date. The performance seems barbaric. Cyrano has a big nose. It is one of his downfalls. But must one therefore "make up" a nose that makes a mockery of all nobility in art? But the whole performance is like Kainz's nose. Perhaps I will come back to the drama after all, but certainly not to this performance.

In his comedy "Cyrano of Bergerac", Edmond Rostand portrayed a person with whom fate plays a frivolous game. Goethe said of nature that it seems to have designed everything for individuality and makes nothing of individuals. Cyrano is an individual that nature makes very little of. It has only created him in order to make a thorough mockery of its own intentions. And she doesn't care that a poor person suffers because of her whims. She gives this man a soul that comes from the realm of beauty and greatness; but at the same time she makes him ugly and incapable of developing real greatness. Cyrano loves Roxane. Because of his ugliness, he cannot think of his beloved loving him again. Her affections are with the handsome but witless Christian von Neuvillette. And Cyrano has to put up with Roxane asking him to be a support in her lover's life. He fulfills this request entirely in accordance with the role that cruel nature has assigned him. Roxane would never love a man who could not speak and write about love in fine turns of phrase. Christian, this beautiful shell of a vain interior, can only win and keep her love with Cyrano's help. He teaches Christian what he would say to his beloved if he could find love in return. This allows him to describe his feelings in beautiful words. But the letters that Christian sends to Roxane are also written by Cyrano. The ugly man, who has to do without love, writes them for the beautiful man, who is undeserving of female affection. Roxane falls in love with Cyrano's soul, which speaks to her from Christian's body. The agony of deprivation and the way Cyrano endures it are the content of the comedy. The man treated disgracefully by nature tries to cope with life in his own way. His strength and prowess give him power over his fellow men, even though the nasal monstrosity that disfigures his face provides the mockers with ample material for laughter. And he exploits this power. He takes pleasure in treating those who deserve it en canaille. He likes to play with people because nature also plays with him. He has an abundance of duels to fight. For he is a good fencer; and as a victor with a weapon, he can always forget anew that fate has made him a conqueror once and for all.

Rostand has succeeded in portraying such a character with humor. You want to be angry at the frivolous game that nature plays with Cyrano, but you bury your anger in a hearty laugh. For the suffering hero allows the opposites that are present in his nature to run riot against each other; and thus the tragedy of his life repeatedly turns into comedy. However, in the depths of this drama lies the seriousness of life. Despite Cyrano's mischief, we must always remember it. Rostand has used all the means of theatricality, but he has placed these means at the service of a major life issue. The seriousness appears before us in a pleasing form. It gives up nothing of its true character; but it brings this character to outward appearance in a light play. It is to Rostand's credit that he did not allow himself to be overwhelmed by the gravity of his task. That he did not say to people: see how you suffer, how nature torments you, but showed them how they can face the serious with defiance, without assuming the mien of forbearance. Rostand is one of those poets who see the task of art as helping people to overcome the miseries of everyday life. One could put it more pathetically: he wants to take us beyond reality. His free style is proof of this fundamental artistic conviction. Ludwig Fulda has rendered this free style perfectly in his German translation of the comedy.

«CYRANO VON BERGERAC»

Romantische Komödie in fünf Aufzügen von Edmond Rostand. Deutsch von Ludwig Fulda
Aufführung im Deutschen Theater, Berlin

Edmond Rostands «Cyrano von Bergerac» ist am 14. September im Deutschen Theater aufgeführt worden. Ich habe eigentlich keine rechte Veranlassung, über dieses Drama gerade gelegentlich dieser Aufführung mich auszusprechen. Denn eine Vorstellung wie diese gibt nur ein Zerrbild des feinen Kunstwerkes. Dieser Cyrano ist halb Held und halb Karikatur; im Deutschen Theater wurde alles getan, um durch die Karikatur den Helden unkenntlich zu machen. Von der Tragikomödie, die Rostand gemeint hat, kommt nichts, aber auch gar nichts, im Deutschen Theater zum Vorschein. Es ist alles mißverstanden, alles Große und alle Kleinigkeiten. Der Stil, in dem das Drama dargestellt werden muß, ist vergriffen. Barbarisch erscheint die Aufführung. Cyrano hat eine große Nase. Sie ist eins seiner Verhängnisse. Muß man aber deshalb eine Nase sich «anschminken», die aller Vornehmheit in der Kunst Hohn spricht? Wie Kainz’ Nase aber ist die ganze Vorstellung. Vielleicht komme ich auf das Drama doch zurück, auf diese Aufführung gewiß nicht.

Einen Menschen, mit dem das Schicksal ein leichtfertiges Spiel treibt, hat Edmond Rostand in seiner Komödie «Cyrano von Bergerac» dargestellt. Goethe hat von der Natur gesagt, daß sie alles auf Individualität angelegt zu haben scheine und sich nichts aus den Individuen mache. Cyrano ist ein Individuum, aus dem sich die Natur sehr wenig macht. Sie hat es nur geschaffen, um über ihre eigenen Absichten einmal gründlich zu spotten. Und es ist ihr gleichgültig, daß ein armer Mensch durch ihre Launen leidet. Sie gibt diesem Menschen eine Seele, die aus dem Reiche der Schönheit und der Größe stammt; aber sie macht ihn zugleich häßlich und unfähig, wirkliche Größe zu entfalten. Cyrano liebt Roxane. Wegen seiner Häßlichkeit kann er nicht daran denken, daß die Angebetete ihn wieder liebe. Ihre Neigung hat der schöne, aber geistlose Christian von Neuvillette. Und Cyrano muß es ertragen, daß Roxane ihn bittet, ihrem Geliebten eine Stütze im Leben zu sein. Er erfüllt diese Bitte ganz entsprechend der Rolle, die ihm die grausame Natur zugedacht hat. Nie würde Roxane einen Mann lieben, der nicht in feinen Wendungen über die Liebe sprechen und schreiben kann. Christian, diese schöne Hülle eines nichtigen Innern, kann ihre Liebe nur mit Cyranos Hilfe erringen und erhalten. Was dieser der Geliebten sagen würde, wenn er Gegenliebe finden könnte, das bringt er Christian bei. So kann dieser mit schönen Worten seine Gefühle schildern. Aber auch die Briefe, die Christian an Roxane richtet, stammen von Cyrano. Der Häßliche, der auf Liebe verzichten muß, schreibt sie für den Schönen, dem weibliche Neigung unverdient zuteil wird. So verliebt sich Roxane in Cyranos Seele, die aus Christians Körper zu ihr spricht. Die Qualen der Entbehrung und die Art, wie Cyrano sie erträgt, sind der Inhalt der Komödie. Der von der Natur schmählich Behandelte sucht auf seine Weise mit dem Leben fertigzuwerden. Seine Kraft und Tüchtigkeit verschaffen ihm Gewalt über die Mitmenschen, obgleich er durch das Nasenungetüm, das sein Gesicht entstellt, den Spöttern reichlichen Stoff zum Lachen gibt. Und er nützt diese Gewalt aus. Es ist ihm eine Lust, diejenigen en canaille zu behandeln, die es verdienen. Er spielt mit den Menschen gerne, weil die Natur ja auch mit ihm spielt. Eine Fülle von Duellen hat er zu bestehen. Denn er ist ein guter Fechter; und als Sieger mit der Waffe kann er immer wieder von neuem vergessen, daß das Schicksal ihn ein für allemal zu einem Besiegten geschaffen hat.

Einen solchen Charakter mit Humor zu schildern, ist Rostand gelungen. Man möchte wütend werden über das frivole Spiel, das die Natur mit Cyrano treibt; aber man begräbt die Wut in einem herzlichen Lachen. Denn der leidende Held läßt die Gegensätze, die in seinem Wesen vorhanden sind, sich gegeneinander austoben; und dadurch geht das Tragische seines Lebens immer wieder in ein Komisches über. Allerdings liegt in den Tiefen dieses Dramas der Ernst des Lebens. An ihn müssen wir trotz des Schabernacks, den Cyrano treibt, immer denken. Rostand hat alle Mittel des Theatralischen verwendet; aber er hat diese Mittel in den Dienst einer großen Lebensfrage gestellt. Das Ernste tritt in gefälliger Gestalt vor uns hin. Es gibt nichts von seinem wahren Charakter auf; es bringt aber diesen Charakter in leichtem Spiel zur äußeren Erscheinung. Es ist Rostand hoch anzurechnen, daß er sich von der Schwere seiner Aufgabe nicht hat erdrücken lassen. Daß er den Menschen nicht gesagt hat: seht, wie ihr leidet, wie euch die Natur quält, sondern ihnen gezeigt hat, wie sie dem Ernsten trotzig gegenüberstehen können, ohne die Duldermiene anzunehmen. Rostand ist einer von den Dichtern, welche die Aufgabe der Kunst darin sehen, den Menschen über die Miseren der Alltäglichkeit hinwegzuhelfen. Pathetischer könnte man das so nennen: er will über die Wirklichkeit hinausführen. Sein freier Stil ist ein Beweis für diese seine künstlerische Grundüberzeugung. Ludwig Fulda hat in seiner deutschen Übersetzung der Komödie diesen freien Stil in trefflicher Weise wiedergegeben.