Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29
Automated Translation
Deutsche Post 1899, Volume 3, 17
41. “Gyges and His Ring”
A tragedy by Friedrich Hebbel
Performance at the Burgtheater, Vienna
At last, after a period of unprecedented abuse, the Burgtheater brought us a stage event of the very highest order on Easter Monday. A number of admirers of Hebbel's muse have come together with the intention of erecting an artistically executed memorial plaque at the great poet's death house. This has already been completed by the talented artist Seebeck and is soon to be dedicated. It is also due to the efforts of these men that we have been delighted by one of Hebbel's most important works. Part of the net proceeds will be used to cover the costs of the memorial.
We believe that "Gyges and his Ring" has been conquered for the stage forever with this performance. No-one could ignore the great movement that runs through the play. The success was resounding. However, we must not forget that the performance took place in front of an extraordinarily select audience. The usual regular audience, which only recently proved its complete lack of taste and judgment with the warm reception of "Wilddiebe", was not there. Well, we'll see how the play fares at the second performance, where we will once again encounter the familiar owners of their privileged seats.
The fable of the play is the simplest imaginable. Candaules, the king of Lydia, is married to Rhodope, the daughter of the Oriental king, who comes from the land of her fathers with the opinion that a woman is forever dishonored if she is seen by another man besides her lawful husband. Rhodope has made this her concept of modesty the guiding principle of her life in the most embarrassing way. "Her veil is a part of her self." No one sees her without it. But Rhodope is a woman of supreme beauty, and Kandaules not only wants to possess this beauty, he also wants him to have a witness to this possession of his. Now the Greek Gyges lives at his court, who once found a ring that you only need to twist on your finger to make it invisible. Gyges gave this ring to his king. The latter now entices his servant to use the ring for one night to enter the king's bedchamber and thus convince himself of Rhodope's beauty by sight. This is what happens. But Rhodope realizes the sacrilege. And now dramatic conflicts arise that can only be spun by an important poet. In the fateful hour, Gyges has taken a diamond from the queen's neck. He gives it to the king. Rhodope, who is aware of the ring's existence, soon falls for the idea that Gyges may have committed the crime. She calms down a little when she sees that her husband owns the diamond and now believes that at least it has not been taken from her by an unappointed hand. The dramatic escalation as Rhodope gradually learns the true facts of the case, the guilt of her own husband, and the psychologically subtle depiction of Gyges' emotional struggle, make a powerful impression. There is only one thing left for the dishonored woman: Gyges, who has seen her, must become her husband; Kandaules, who caused the sacrilege, must fall from Gyges' hand. This is what Rhodope demands of the latter. And so it happens. The king falls in a duel against Gyges, but Rhodope kills herself after marrying Gyges, as her honor demands. The latter is proclaimed king by the Lydians. The outcome is significant and profound; by marrying Gyges, Rhodope has satisfied her people's notions of virtue, for she has only been seen by her husband; through her death she atones for the injustice of the murder of her first husband, which she necessarily caused because of this satisfaction.
Hebbel knew how to turn the rather insignificant fable reported in Herodotus into the great drama of the woman's wounded shamefulness. Everything that it brings flows from this basic principle. And therein the true poet shows himself: no sentence, indeed no word, is too much; one sees in everything that it must be so.
On the whole, the performance was a good one. Robert played Gyges soulfully and passionately; apart from a few passages in which he exaggerated, we must regard his conception as entirely accurate. Krastel does not actually speak very well when he appears in roles that involve a big, important move. The artificial pathos, which all too often turns into unnatural singing, is alienating. Apart from this flaw, however, his Kandaules is a significant achievement. Miss Barescu's Rhodope is not exactly perfect, but she has passages in which she finds the right notes and captivates. She should only let the imitation of Wolter show through less. If she succeeds in appearing more powerful and grandiose, especially in the third and fourth acts, then this role cannot be denied approval. Miss Formes played Lesbia, a small role, but one which again gave her enough opportunity to let her complete lack of talent shine.
«GYGES UND SEIN RING»
Eine Tragödie von Friedrich Hebbel
Aufführung im Burgtheater, Wien
Endlich, nach einer an Mißgriffen beispiellos reichen Periode, brachte uns am Ostermontag das Burgtheater ein Bühnenereignis allerersten Ranges. Eine Reihe von Verehrern der Muse Hebbels haben sich in der Absicht zusammengefunden, eine künstlerisch ausgeführte Gedenktafel am Sterbehause des großen Dichters anzubringen. Dieselbe ist bereits von dem begabten Künstler Seebeck fertiggestellt und soll demnächst ihrer Bestimmung zugeführt werden. Den Bestrebungen dieser Männer ist es nun auch zuzuschreiben, wenn wir durch eines der bedeutendsten Stücke Hebbels erfreut wurden. Ein Teil des Reinerträgnisses soll nämlich zur Deckung der Kosten des Denkmals verwendet werden.
Mit der erwähnten Aufführung ist, wie wir glauben, «Gyges und sein Ring» für die Bühne auf immer erobert worden. Niemand konnte sich dem großen Zuge verschließen, der durch das Stück geht. Der Erfolg war ein durchschlagender. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, daß die Vorstellung vor einem außerordentlich gewählten Publikum stattfand. Das gewöhnliche Stammsitz-Publikum, das erst jüngst durch die so freundliche Aufnahme der «Wilddiebe» seine vollständige Geschmack- und Urteilslosigkeit bewiesen hat, war nicht da. Nun, wir werden ja sehen, wie es dem Stücke bei der zweiten Aufführung, wo man wieder auf die bekannten Inhaber ihrer privilegierten Sitze stoßen wird, ergeht.
Die Fabel des Stückes ist die denkbar einfachste. Kandaules, der König von Lydien, ist mit Rhodope, der morgenländischen Königstochter, vermählt, die vom Lande ihrer Väter mit der Ansicht kommt, daß das Weib für immer entehrt ist, wenn sie außer von ihrem rechtmäßigen Gemahl noch von einem anderen Manne gesehen wird. Rhodope hat diesen ihren Begriff von Schamhaftigkeit in der peinlichsten Weise zur Richtschnur ihres Lebens gemacht. «Ihr Schleier ist ein Teil von ihrem Selbst.» Niemand sieht sie ohne diesen. Rhodope ist aber ein Weib von höchster Schönheit, und Kandaules will diese Schönheit nicht nur besitzen, er will auch, daß er einen Zeugen von diesem seinem Besitze habe. Nun lebt an seinem Hofe der Grieche Gyges, der einst einen Ring gefunden hat, den man am Finger nur entsprechend zu drehen braucht, um durch ihn unsichtbar zu werden. Diesen Ring hat Gyges seinem Könige geschenkt. Der letztere verleitet nun seinen Diener, den Ring für eine Nacht zu benutzen, um in das königliche Schlafgemach einzudringen und so sich durch den Augenschein von der Schönheit Rhodopens zu überzeugen. Das geschieht. Aber Rhodope merkt den Frevel. Und nun entstehen dramatische Konflikte, wie sie eben nur von einem bedeutenden Dichter gesponnen werden können. Gyges hat in der verhängnisvollen Stunde einen Diamant von dem Halse der Königin genommen. Diesen übergibt er dem Könige. Rhodope, die von der Existenz des Ringes Kenntnis hat, verfällt bald auf den Gedanken, Gyges könne das Verbrechen begangen haben. Sie beruhigt sich ein wenig, da sie sieht, ihr Gemahl selbst besitze den Diamanten, und nun glaubt, daß ihr wenigstens dieser nicht von unberufener Hand genommen worden ist. Die dramatische Steigerung, wie Rhodope nun Schritt für Schritt den wahren Sachverhalt, die Schuld ihres eigenen Gemahls, erfährt, ferner die psychologisch feine Schilderung des Seelenkampfes in Gyges, machen einen gewaltigen Eindruck. Für das entehrte Weib bleibt nur eines übrig: Gyges, der sie gesehen hat, muß ihr Gatte werden; Kandaules, der den Frevel veranlaßt, muß von Gyges Hand fallen. Dies fordert Rhodope von dem letzteren. Und so geschieht es. Der König fällt im Zweikampfe gegen Gyges, Rhodope aber tötet sich, nachdem sie sich noch, wie es ihre Ehre fordert, mit Gyges vermählt hat, selbst. Der letztere wird von den Lydiern zum König ausgerufen. Der Ausgang ist bedeutsam und tief; durch die Vermählung mit Gyges hat Rhodope den Tugendbegriffen ihres Volkes Genüge getan, denn sie ist nur von ihrem Gemahle gesehen worden; durch ihren Tod sühnt sie das wegen dieser Genugtuung notwendig durch sie veranlaßte Unrecht der Ermordung ihres ersten Gatten.
Hebbel verstand es, aus der bei Herodot mitgeteilten, ziemlich unbedeutenden Fabel das großartige Drama der verletzten Schamhaftigkeit des Weibes zu machen. Alles, was dasselbe bringt, fließt aus diesem Grundzuge. Und darinnen zeigt sich der wahre Dichter: Es ist kein Satz, ja kein Wort zu viel; man sieht bei allem, daß es so sein muß.
Die Darstellung war im ganzen eine gute. Robert spielte den Gyges seelenvoll und leidenschaftlich; bis auf einige Stellen, in denen er sich überschrie, müssen wir seine Auffassung durchaus als zutreffend ansehen. Krastel spricht, wenn er in Rollen auftritt, zu denen ein großer, bedeutender Zug gehört, eigentlich nicht sehr gut. Das künstliche Pathos, das nur zu oft zu einem unnatürlichen Singen wird, befremdet. Sein Kandaules ist aber bis auf diesen Fehler eine bedeutende Leistung. Die Rhodope des Fräulein Barescu ist nicht gerade vollendet, aber sie hat Stellen, in denen sie die rechten Töne findet und hinreißt. Sie sollte nur die Nachahmung der Wolter weniger durchblicken lassen. Wenn es ihr noch gelingt, namentlich im dritten und vierten Akte gewaltiger, großartiger aufzutreten, dann wird man dieser Rolle die Zustimmung jedenfalls nicht versagen können. Fräulein Formes spielte die Lesbia, eine kleine Rolle, die ihr aber wieder Gelegenheit genug gab, ihre vollständige Talentlosigkeit glänzen zu lassen.