Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29
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Das Magazin für Litertur 1899, Volume 68, 12
153. The Free Literary Society in Berlin 1899
On March 13, the fourth lecture evening of the winter took place at the "Freie Literarische Gesellschaft" in Berlin. A one-act drama "Märtyrer" by Georg Reicke and modern Iyrian poems were performed, both by the royal court actor Arthur Kraußneck. The lecture was preceded by a conference held by Dr. Rudolf Steiner. In particular, he sought to derive Nietzsche's Iyrian poems and two ballads by Maurice Maeterlinck, which were presented, from the nature of these two personalities. Nietzsche's poetry mostly emerges from a mood that at first glance makes us wonder at the proud philosopher who, rejoicing, has replaced the God of the hereafter with the superman of this world, who wants to show people that they should be creators, not recipients of divine powers. But Nietzsche, the poet, is Nietzsche, the man on whom individual life weighs heavily, who has known happiness all too little. Nietzsche created an image of the laughing philosopher out of the suffering human being. The greatness of this image crushed Nietzsche, the human being. His poems grew out of such moods. What Nietzsche, the suffering individual, felt towards the lofty image of his superman flows out of his poems. - Maeterlinck is averse to the crude, in-your-face facts of life. Not the big words, not the strong feelings and passions are for him the heralds of the deepest things in the world. When I see a person only fleetingly, something can happen between his soul and mine that is deeper and more divine than what is expressed in the words of a Plato or a Fichte or in the passion of an Othello. Such crude sayings, such passions only obscure for us the deeper things that can be seen in the seemingly most mundane events. The two ballads performed show how simple means Maeterlinck uses to express shocking truths.
Mr. Kraußneck's performance made a deep impression on the audience. Reicke's one-act play depicts the sad situation of the family of a pastor who has to give up his office because his conscience has brought him into conflict with the teachings of the church. The wife is dead. The daughter alone has to earn a living for her father and siblings. She could marry and find happiness. But she is not allowed to leave her position within the family. The way her father tries to keep her in this position and her heartbreaking renunciation of happiness is portrayed in a gripping way in connection with the characters. Mr. Kraußneck found a way to bring out the subtle psychology of the work. No less effective was the expression he gave to the poignant poems of Nietzsche and Maeterlinck.
The final piece was a legend "The Four Robbers" by Ludwig Jacobowski, written in a genuinely folksy tone. This poet seeks the simplest, unaffected tones and thus achieves a height of art that we admire in the perfect folk song.
FREIE LITERARISCHE GESELLSCHAFT IN BERLIN 1898
Am 13.März fand in der «Freien Literarischen Gesellschaft» zu Berlin der vierte Vortragsabend dieses Winters statt. Zum Vortrag kam ein einaktiges Drama «Märtyrer» von Georg Reicke und moderne Iyrische Dichtungen, beides durch den Königlichen Hofschauspieler Arthur Kraußneck. Dem Vortrag ging eine Conference voraus, die Dr. Rudolf Steiner hielt. Er suchte namentlich die Iyrischen Dichtungen Nietzsches und zwei Balladen Maurice Maeterlincks, die zum Vortrage kamen, aus dem Wesen dieser beiden Persönlichkeiten herzuleiten. Nietzsches Lyrik kommt zumeist aus einer Stimmung heraus, die uns auf den ersten Blick in Verwunderung versetzt bei dem stolzen Philosophen, der frohlockend an die Stelle des jenseitigen Gottes den diesseitigen Übermenschen gesetzt hat, der den Menschen zeigen will, daß sie Schaffende sein sollen, nicht von göttlichen Mächten Empfangende. Aber Nietzsche, der Lyriker, ist Nietzsche, der Mensch, auf dem das individuelle Leben schwer lastet, der das Glück nur allzuwenig kennengelernt hat. Aus dem leidenden Menschen heraus hat Nietzsche ein Bild des lachenden Philosophen geschaffen. Die Größe dieses Bildes erdrückte Nietzsche, den Menschen. Aus solchen Stimmungen heraus sind seine Gedichte erwachsen. Was Nietzsche, der leidende Einzelmensch, gegenüber dem hohen Bilde seines Übermenschen empfand, das strömt uns aus seinen Dichtungen entgegen. — Maeterlinck ist abhold den groben, in die Augen fallenden Tatsachen des Lebens. Nicht die großen Worte, nicht die starken Empfindungen und Leidenschaften sind ihm die Verkünder des Allertiefsten in der Welt. Wenn ich einen Menschen nur flüchtig sehe, so kann sich zwischen seiner und meiner Seele etwas ereignen, das tiefer und göttlicher ist, als was sich in den Worten eines Plato oder Fichte oder in der Leidenschaft eines Othello ausspricht. Solch grobe Aussprüche, solche Leidenschaften verdunkeln für uns nur das Tiefere, das in den scheinbar alltäglichsten Ereignissen gesehen werden kann. Die beiden vorgetragenen Balladen zeigen, mit wie einfachen Mitteln Maeterlinck erschütternde Wahrheiten ausspricht.
Herr Kraußneck machte durch seinen Vortrag einen tiefen Eindruck auf die Zuhörer. Reickes Einakter stellt die traurige Lage dar, in welcher die Familie eines Pastors ist, der sein Amt aufzugeben hat, weil ihn sein Gewissen in einen Konflikt mit den Lehren der Kirche gebracht hat. Die Frau ist tor. Die Tochter allein muß für den Vater und die Geschwister den Unterhalt verdienen. Sie könnte sich verheiraten und ihr Glück finden. Aber sie darf ihren Posten innerhalb der Familie nicht verlassen. Die Art, wie ihr Vater sie auf diesem Posten zu halten sucht, und ihr herzzerreißender Verzicht auf das Glück wird im Zusammenhange mit den Charakteren in packender Weise dargestellt. Herr Kraußneck fand die Art, die feine Psychologie des Werkes zur Geltung zu bringen. Nicht minder wirksam war der Ausdruck, den er den ergreifenden Dichtungen Nietzsches und Maeterlincks gab.
Den Abschluß machte eine in echt volkstümlichem Ton gehaltene Legende «Die vier Räuber» von Ludwig Jacobowski. Dieser Dichter sucht die einfachsten, ungekünstelten Töne und erreicht damit eine Höhe der Kunst, wie wir sie an dem vollendeten Volkslied bewundern.