Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29
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Das Magazin für Litertur 1898, Volume 67, 48
151. Ria Classen on “Symbolism in Lyric and Drama and Hugo von Hofmannsthal”
Lectures such as the one given on November 26, 1898 at the "Verein zur Förderung der Kunst" are among the rarities in the field of oratory. What we so often miss in lectures, that a personality stands before us, into whose spell we gladly fall for an hour, was present here in full measure. Mrs. Ria Claassen spoke about "Symbolism in Poetry and Drama and Hugo von Hofmannsthal". What she said could also be said in an essay. But such an essay would only offer me, for example, a quarter of what the speaker gave me that evening. I so often have the feeling at lectures that it is not a person who is speaking here, but an observation. The speaker could also be represented by someone else who has this view. With Ria Claassen, I had the impression that only she personally could tell me what she was saying. Ria Claassen has absorbed the international culture of Europe and processed it within herself in such a way that everything she says from the standpoint of the most advanced contemporary education appears like the direct, naive expression of her personality. Every expression of the physiognomy capable of modulation, every movement of the hands says something in the performer. I have not often seen hands come to the aid of words as in this case.
The lecturer spoke about Hugo von Hofmannsthal and the blossoming of the new art, which was particularly cultivated by this Viennese poet: symbolism. The fact that this artistic genre is now, after the era of modern naturalism, appearing on the horizon of intellectual life and having no small impact is highly characteristic of the contemporary soul. And the expression that Ria Claassen finds to interpret this symbolism is no less characteristic.
A longing for the paradise of the spirit is what lives in Ria Claassen. She has a need for something rare and special that cannot be found in the abundance of everyday life. And these needs work in her with the strength of a religious feeling. Naturalism cannot satisfy this longing. For it seeks to faithfully reproduce the very life from which Ria Claassen longs to escape. It regards it as the triumph of art when it can say: this drama works from the stage in such a way that we do not believe we have art before us, but that we believe we have real, everyday life before us. For Ria Claassen, a work of art will stand all the higher the more it makes us forget this real, everyday life and places before us the higher powers that rule in the depths of existence. It is not life, but the "mysteries of life" that should be the subject of art.
Ria Claassen sees her longing for art realized in the drama of Richard Wagner. In a work such as "Tristan und Isolde", the means of art are not used to depict reality, but rather the deeper forces of existence. Wagner believes that only in music can he find a means for this higher mission of art. Maeterlinck's and Hofmannsthal's creations show that symbolic art is also possible without the aid of the world of sound. These poets place a number of sentences before us in such a way that we perceive from them the revelations of a higher life. In Ria Claassen's opinion, Hofmannsthal's poetry is the pinnacle of this artistic movement. It is an art of words, such words that we hear divine voices when we listen to them.
How closely Ria Claassen has grown with this art she characterizes has been demonstrated by her performance of several Hofmannsthal poems. I would describe the nature of her performance itself as symbolist rhetoric. I thought I could hear something of what she was looking for in symbolist art in her fine, elegant voice. Hofmannsthal could hardly have wished for a better reciter.
RIA CLAASSEN ÜBER «SYMBOLIK IN LYRIK UND DRAMA UND HUGO VON HOFMANNSTHAL»
Vorträge, wie der am 26. November 1898 im «Verein zur Förderung der Kunst» gebotene, gehören zu den Seltenheiten auf dem Gebiete der Redekunst. Was wir so oft bei Vorträgen entbehren, daß vor uns eine Persönlichkeit steht, in deren Bann wir uns gerne eine Stunde lang begeben, war hier in vollstem Maße vorhanden. Frau Ria Claassen sprach über «Symbolik in Lyrik und Drama und Hugo von Hofmannsthal». Was sie sagt, könnte sie auch in einem Aufsatze sagen. Aber ein solcher Aufsatz würde zum Beispiel für mich nur ein Viertel von dem bieten, was mir die Vortragende an jenem Abend gab. Ich habe so oft bei Vorträgen das Gefühl: hier redet nicht ein Mensch, sondern eine Anschauung. Der Vortragende könnte sich auch durch einen anderen vertreten lassen, der diese Anschauung hat. Bei Ria Claassen hatte ich den Eindruck: nur sie persönlich konnte mir sagen, was sie gesagt hat. Die internationale Kultur Europas hat Ria Claassen in sich aufgenommen und in sich so verarbeitet, daß alles, was sie vom Standpunkte fortgeschrittenster Gegenwartsbildung aus sagt, wie der unmittelbare, naive Ausfluß ihrer Persönlichkeit erscheint. Jeder Ausdruck der modulationsfähigen Physiognomie, jede Bewegung der Hände sagt bei der Vortragenden etwas. Ich habe nicht oft gesehen, daß Hände den Worten so zu Hilfe kommen wie in diesem Falle.
Die Vortragende sprach über Hugo von Hofmannsthal und die Blüte der neuen Kunst, die besonders durch diesen Wiener Dichter ihre Pflege gefunden hat: die Symbolik. Daß diese Kunstgattung jetzt, nach der Epoche des modernen Naturalismus, auf dem Horizonte des Geisteslebens auftritt und nicht geringe Wirkungen übt, ist im höchsten Maße charakteristisch für die Zeitseele. Und der Ausdruck, den Ria Claassen findet, um diese Symbolik zu deuten, ist nicht weniger charakteristisch.
Eine Sehnsucht nach dem Paradiese des Geistes ist es, die in Ria Claassen lebt. Sie hat Bedürfnisse nach etwas Seltenem, Besonderem, das in der Fülle des alltäglichen Lebens nicht zu finden ist. Und diese Bedürfnisse wirken in ihr mit der Stärke einer religiösen Empfindung. Der Naturalismus kann diese Sehnsucht nicht befriedigen. Denn er sucht gerade das Leben, aus dem Ria Claassen sich fortsehnt, getreulich wiederzugeben. Er betrachtet es als den Triumph der Kunst, wenn er sagen kann: dieses Drama wirkt von der Bühne herab so, daß wir nicht Kunst vor uns zu haben glauben, sondern daß wir das wirkliche, alltägliche Leben vor uns zu haben meinen. Für Ria Claassen wird ein Kunstwerk um so höher stehen, je mehr es uns dieses wirkliche, alltägliche Leben vergessen läßt und die höheren Mächte, die in den Tiefen des Daseins walten, vor uns hinstellt. Nicht das Leben, sondern die «Mysterien des Lebens» sollen der Gegenstand der Kunst sein.
In der Dramatik Richard Wagners sieht Ria Claassen ihre Kunstsehnsucht verwirklicht. In einem Werke, wie «Tristan und Isolde» eines ist, werden die Kunstmittel nicht dazu verwendet, die Wirklichkeit abzubilden, sondern die tieferen Kräfte des Daseins. Wagner glaubt nur in der Musik ein Mittel zu finden für diese höhere Mission der Kunst. Daß auch ohne Zuhilfenahme der Tonwelt eine symbolische Kunst möglich ist, zeigen Maeterlincks und Hofmannsthals Schöpfungen. Diese Dichter stellen eine Anzahl von Sätzen so vor uns hin, daß wir aus ihnen die Offenbarungen eines höheren Lebens empfinden. Ein Höhepunkt in dieser Kunstströmung ist — nach Ria Claassens Ansicht — in Hofmannsthals Lyrik erreicht. Sie ist eine Kunst der Worte, solcher Worte, bei deren Anhören wir göttliche Stimmen zu hören bekommen.
Wie innig Ria Claassen mit dieser von ihr charakterisierten Kunst verwachsen ist, hat sie durch ihren Vortrag mehrerer Hofmannsthalscher Dichtungen gezeigt. Ich möchte die Art ihres Vortrags selbst als symbolistische Rhetorik bezeichnen. Aus ihrem feinen, vornehmen Organ glaubte ich auch etwas von dem zu vernehmen, was sie in der symbolistischen Kunst sucht. Hofmannsthal kann sich kaum einen besseren Rezitator wünschen.