Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24
Was «neuer Geist» fordert
[ 1 ] An den unfruchtbaren Diskussionen, die gegenwärtig in vielen Kreisen über die Betriebsräte gepflogen werden, kann man deutlich wahrnehmen, wie wenig nodi Verständnis vorhanden ist für die Forderungen, die der Menschheit aus ihrer geschichtlichen Entwickelung heraus für Gegenwart und nächste Zukunfl erwachsen sind. Von der Einsicht, daß in Demokratie und sozialer Lebensgestaltung zwei im Menschenwesen der neueren Zeit selbst liegende Antriebe sich ausleben wollen, davon ahnen die meisten von denen, die in solchen Diskussionen mitreden, nichts. Beide Antriebe werden so lange beunruhigend und zerstörend im öffentlichen Leben wirken, bis man es zu Einrichtungen bringt, in denen sie sich entfalten können, aber der soziale Antrieb, der im Wirtschaftskreislauf wird leben müssen, kann sich, seinem Wesen nach, nicht demokratisch offenbaren. Ihm kommt es darauf an, daß die Menschen im wirtschaftlichen Produzieren den rechtmäßigen Bedürfnissen ihrer Mitmenschen Rechnung tragen. Eine von diesem Antrieb geforderte Regelung des Wirtschaftskreislaufes muß auf das gebaut sein, was die wirtschaftenden Personen füreinander tun. Diesem Tun aber müssen Verträge zugrunde liegen, die herauswachsen aus den wirtschaftlichen Positionen der wirtschaftenden Menschen. Zum Abschluß dieser Verträge ist, wenn sie sozial wirken sollen, zweierlei nötig. Erstens müssen sie entspringen können aus der freien, auf Einsicht ruhenden Initiative der Einzelmenschen; zweitens müssen diese einzelnen Menschen in einem Wirtschaftskörper leben, in dem die Möglichkeit gegeben ist, durch solche Verträge die Leistung des Einzelnen in der denkbar besten Weise der Gesamtheit zuzuführen. Die erste Forderung kann nur erfüllt werden, wenn sich kein politisch gearteter Verwaltungseinfluß zwischen den wirtschaftenden Menschen und sein Verhältnis zu den Quellen und Interessen des Wirtschaftslebens stellt. Der zweiten Forderung wird Rechnung getragen, wenn Verträge nicht nach den Forderungen des ungeregelten Marktes, sondern nach den Bedingungen geschlossen werden, die sich ergeben, indem sich den Bedürfnissen gemäß Betriebszweige untereinander und mit Konsumgenossenschaften assozijeren, so daß die Warenzirkulation im Sinne dieser Assoziationen verläuft. Durch das Bestehen dieser Assoziationen ist den wirtschaftenden Personen der Weg vorgezeichnet, den sie in jedem einzelnen Falle zur vertraglichen Regelung ihrer Tätigkeit nehmen sollen.
[ 2 ] Für ein in dieser Art gestaltetes Wirtschaftsleben gibt es kein Parlamentarisieren. Es gibt nur das fachkundige und fachtüchtige Stehen in einem Betriebszweige und das Verbundensein der eigenen Position mit andern in der sozial zweckmäßigsten Weise. Was innerhalb eines solchen Wirtschaftskörpers geschieht, das wird nicht durch «Abstimmungen» geregelt, sondern durch die Sprache der Bedürfnisse, die durch ihr eigenes Wesen auf das eingeht, was durch den fachkundigsten und fachtüchtigsten Menschen geleistet und durch föderativen Zusammenschluß an den rechten Ort seines Verbrauches geleitet wird.
[ 3] Aber wie im natürlichen Organismus das eine Organsystem sich durch seine eigene Tätigkeit auflösen müßte, wenn es nicht durch ein anderes reguliert würde, so muß auch das eine Glied des sozialen Organismus durch andere reguliert werden. Was durch die wirtschaftenden Menschen im Wirtschaftskörper geschieht, müßte im Laufe der Zeit zu den seiner Wesenheit entsprechenden Schädigungen führen, wenn nicht durch die politisch-rechtliche Organisation, - die ebenso sicher auf demokratischer Grundlage ruhen muß, wie dies das Wirtschaftsleben nicht kann - der Entstehung solcher Schädigungen entgegengearbeitet würde. Im demokratischen Rechtsstaate ist das Parlamentarisieren berechtigt. Was da entsteht, das wirkt in der wirtschaftenden Betätigung der Menschen ausgleichend auf die Neigung des Wirtschaftslebens, zu Schädigungen zu führen. Wollte jemand das Wirtschaftsleben selbst in die Verwaltung der Rechtsstruktur einspannen, so benähme er ihm seine Tüchtigkeit und seine Beweglichkeit. Das Recht muß von den wirtschaftenden Menschen von einer außerhalb des Wirtschaftslebens liegenden Stelle empfangen und im Wirtschaftsleben nur angewendet werden.
[ 4 ] Die Erörterung über solche Dinge müßte da gepflogen werden, wo man sich mit der Einrichtung von Betriebsräten beschäftigt. Statt dessen herrscht da ein Herumreden von Gesichtspunkten aus, die dem alten Prinzip entsprechen, die politische Gesetzgebung nach den Interessen der wirtschaftenden Gruppen zu gestalten. Daß gegenwärtig eben andere Gruppen nach diesem Prinzip verfahren wollen als früher, das ändert nichts an der Tatsache, daß ein neuer Geist heute da noch fehlt, wo man seiner schon dringend bedürftig ist.
[ 5 ] Es liegen die Verhältnisse heute so, daß erst dann eine Gesundung des öffentlichen Lebens eintreten kann, wenn von einer genügend großen Anzahl von Menschen die wahren sozialen, politisch-rechtlichen und geistigen Forderungen der Gegenwart durchschaut werden. Von Menschen, die den guten Willen und die Kraft haben, anderen das auf diesem Felde notwendige Verständnis zu vermitteln. Aber die Dinge stehen auch so, daß die noch vorhandenen Hemmnisse für diese Gesundung verschwinden werden in dem Maße, als sich die hier charakterisierte Einsicht verbreitet. Denn es ist nur ein politisch-sozialer Aberglaube, daß diese Hemmnisse objektiver, außerhalb der menschlichen Einsicht liegender Wesenheit sind. Das behaupten nur diejenigen, die niemals begreifen, welches das wirkliche Verhältnis von Idee und Praxis ist. Solche Menschen sagen: die Idealisten haben ja wohl gute oder gutgemeinte Ideen; aber, «sowie die Dinge einmal liegen, lassen sich diese Ideen nicht verwirklichen». Nein, so ist es nicht, sondern so, daß für die Verwirklichung gewisser Ideen in der Gegenwart das einzigeHindernis diejenigen Menschen bilden, welche den eben gekennzeichneten Glauben und dazu die Macht haben, im Sinne dieses Glaubens hemmend zu wirken. Und eine solche Macht haben auch diejenigen, mit denen die Volksmassen aus früheren Parteigruppierungen heraus als mit ihren «Führern» zusammengeschlossen sind, und denen sie gehorsam folgen. Daher ist eine Grundbedingung der Gesundung die Auflösung dieser Parteigruppierungen und die Hebung des Verständnisses für Ideenbildungen, die aus der praktischen Einsicht selbst herauswachsen ohne allen Zusammenhang mit Partei- und Gruppenmeinungen von ehemals. Es ist eine brennende Frage der Gegenwart, daß Mittel und Wege gefunden werden, an die Stelle der Parteimeinungen diese unabhängigen Ideenbildungen zu setzen, die Kristallisationskerne abgeben können für den Zusammenschluß von Menschen von allen Parteiseiten her. Von solchen Menschen, die in der Lage sind, zu erkennen, daß die bestehenden Parteien sich überlebt haben, und daß die sozialen Zustände der Gegenwart ein vollgültiger Beweis für diese Überlebtheit sind.
[ 6 ] Es ist begreiflich, daß den Menschen, denen diese Erkenntnis nottut, sie nicht leicht wird. Den Massen nicht, weil deren Angehörige nicht Zeit und Muße und oftmals nicht die Vorschulung haben, die erforderlich sind. Den Führern nicht, weil ihre Vorurteile und ihre Macht in dem wurzeln, was sie bisher vertreten haben. Daß dieses beides besteht, macht die Verpflichtung nur um so dringlicher, über die Parteitraditionen der Gegenwart hinaus, nicht innerhalb derselben, den wahren Fortschritt der Menschheit zu suchen. Es genügt heute nicht, bloß zu wissen, was an die Stelle des Bisherigen an Einrichtungen treten soll; es ist notwendig, daran zu arbeiten, die neuen Ideenbildungen in eine solche Richtung zu bringen, daß sie die Auflösung des alten Parteiwesens so schnell als möglich bewirken und zum Streben der Menschen nach neuen Zielen führen. Wer dazu nicht den Mut hat, der kann nichts beitragen zur Gesundung des sozialen Lebens; und wer den Aberglauben hat, solches Streben sei eine Utopie, der baut auf einen Boden, der im Einsinken ist.
What a "new spirit" demands
[ 1 ] In the unfruitful discussions that are currently being held in many circles about works councils, one can clearly see how little nodi understanding there is for the demands that have arisen for humanity from its historical development for the present and the near future. Most of those who take part in such discussions have no idea that democracy and social organization of life are two drives inherent in the human nature of modern times. Both drives will continue to have a disturbing and destructive effect on public life until institutions are created in which they can unfold, but the social drive, which will have to live in the economic cycle, cannot, by its very nature, manifest itself democratically. What matters to it is that in economic production people take account of the legitimate needs of their fellow men. A regulation of the economic cycle demanded by this drive must be based on what the economic agents do for one another. This action, however, must be based on contracts that grow out of the economic positions of the people doing business. Two things are necessary for the conclusion of these contracts if they are to have a social effect. Firstly, they must be able to arise from the free initiative of individuals based on insight; secondly, these individuals must live in an economic body in which it is possible, by means of such contracts, to provide the performance of the individual to the whole in the best conceivable way. The first requirement can only be fulfilled if there is no political administrative influence between the economic man and his relationship to the sources and interests of economic life. The second requirement is met if contracts are not concluded according to the demands of the unregulated market, but according to the conditions that arise when branches of industry associate with each other and with consumer cooperatives in accordance with their needs, so that the circulation of goods takes place in accordance with these associations. Through the existence of these associations, the path is marked out for the economic persons which they should take in each individual case to the contractual regulation of their activity.
[ 2 ] There is no parliamentarization for economic life organized in this way. There is only the competent and professional standing in a branch of business and the connection of one's own position with others in the most socially expedient way. What happens within such an economic body is not regulated by "votes", but by the language of needs, which by its own nature responds to what is done by the most knowledgeable and skilled person and is directed to the right place of its consumption through federative association.
[ 3] But just as in the natural organism one organ system would have to dissolve through its own activity if it were not regulated by another, so also one member of the social organism must be regulated by others. What is done in the economic body by economic men would, in the course of time, have to lead to the damages corresponding to its nature, if the development of such damages were not counteracted by the political-legal organization - which must rest on a democratic basis just as surely as economic life cannot. In a democratic constitutional state, parliamentarization is justified. What arises there has a balancing effect in the economic activity of people on the tendency of economic life to lead to harm. If someone wanted to harness economic life itself to the administration of the legal structure, he would deprive it of its efficiency and flexibility. The law must be received by the economic people from a place outside economic life and only applied in economic life.
[ 4 ] The discussion about such things should be held where the establishment of works councils is discussed. Instead, there is an argument based on points of view that correspond to the old principle of shaping political legislation according to the interests of economic groups. The fact that other groups currently want to proceed according to this principle than in the past does not change the fact that a new spirit is still lacking today where it is already urgently needed.
[ 5 ] The circumstances today are such that a recovery of public life can only occur when a sufficiently large number of people see through the true social, political-legal and spiritual demands of the present. By people who have the good will and the strength to convey the necessary understanding in this field to others. But things are also such that the remaining obstacles to this recovery will disappear as the insight described here spreads. For it is only a political-social superstition that these obstacles are of an objective nature lying outside of human insight. This is only claimed by those who never understand the real relationship between idea and practice. Such people say: the idealists have good or well-meant ideas; but, "as things are, these ideas cannot be realized". No, it is not like that, but rather that the only obstacle to the realization of certain ideas in the present are those people who have the belief just described and the power to have an inhibiting effect in the sense of this belief. And such power is also possessed by those with whom the masses are united from earlier party groupings as their "leaders", and whom they obediently follow. Therefore, a basic condition for recovery is the dissolution of these party groupings and the raising of understanding for the formation of ideas that grow out of practical insight itself without any connection to former party and group opinions. It is a burning question of the present that ways and means be found to replace party opinions with these independent formations of ideas, which can provide crystallization nuclei for the unification of people from all sides of the party. By such people who are able to recognize that the existing parties have outlived their usefulness and that the social conditions of the present are full proof of this outlivedness.
[ 6 ] It is understandable that this realization does not come easily to those who need it. Not for the masses, because their members do not have the time and leisure and often not the preliminary training that is required. Not the leaders, because their prejudices and their power are rooted in what they have represented up to now. The fact that both exist makes it all the more urgent to seek the true progress of humanity beyond the party traditions of the present, not within them. Today it is not enough merely to know what institutions should replace the present ones; it is necessary to work to bring the new formations of ideas in such a direction that they bring about the dissolution of the old party system as quickly as possible and lead people to strive for new goals. Those who do not have the courage to do so can contribute nothing to the recovery of social life; and those who have the superstition that such aspirations are a utopia are building on ground that is sinking in.