Essays on Anthroposophy from the Journals “Lucifer” and “Lucifer-Gnosis” 1903-1908
GA 34
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40. Should one Refrain from all Criticism?
The following question has been put to me: “It is often said that a person who is undergoing training in the esoteric sense should refrain from all criticism. Does this also mean that all just criticism of real bad deeds by people is to be avoided? Is it not rather our duty to eradicate damage in our environment and wherever else we can exert influence, so that the better can take the place of the worse? And does not a person sink to complete inactivity if he regards everything with absolute indifference?” First of all, it should be said that the rules of conduct for the secret student are requirements that correspond to strict laws. And as such, they only say something about the connection between the fulfillment of a corresponding requirement and the student's ascent into the higher worlds. You should refrain from criticism, which means that, in life, in cases in which circumstances provoke you to censure or condemn, you should not follow this impulse, but work without criticism to improve what is harmful, bad, etc. To the same extent that you refrain from criticism, you will ascend. Abstaining from criticism does not at all imply that you should pass by the bad, evil, etc. with indifference, and that you should leave everything as it is. You should only try to understand the bad to the same extent as you understand the good. By understanding the causes, you will even be best prepared for the work of improvement. It is not blindness to evil that is useful, but understanding tolerance. The third of the four first sayings in “Light on the Path” expresses most clearly what is to be said about this: “Before the masters the voice can speak, the wounding must unlearn it.” This means that beings from a higher world only speak to a person when his words have completely given up the unloving wounding, the rebuke that is capable of hurting or grieving, and are only spoken in the service of loving embrace of the whole world. And the “words” here also mean the unspoken words, the mere thoughts. The point is to be found in the preparation of pain. The master and higher beings do not speak to us from outside; they use our own words and thoughts as a means of communicating with us. The tone of their voice penetrates us, and from there it goes out into the world through these words and thoughts. And only when it finds this path open and unobstructed does it become audible to us. Words and thoughts that cause pain are like pointed arrows that come from us. And at the tip the sound of the master finds an obstacle; it bounces back and remains imperceptible. Words and thoughts, however, that are shaped by love open up like flower corollas to the outside, gently enclosing other beings; and with them the master's voice finds the way open to penetrate the world. Only through this does it become audible to us.
Secondly, if one is compelled to cause pain, for example if one has the obligation as a judge or critic, then the law applies no less. Even the pain that one is obliged to inflict inhibits development. One must then regard the matter as one's karma. For if one were to evade the obligation in order to further one's own development, one would be acting out of selfishness, and in most cases one would thereby retard development more than one would further it by evading the infliction of pain. In certain circumstances, the best way to make progress is to dispense with the direct observation of a rule whose observance brings about advancement. If you are an educator and are therefore obliged to cause pain by means of punishment, perhaps constantly, then you can do nothing at all with regard to the above rule during this time. But if you have improved the pupil, then this good effect indirectly benefits our karma and thus our higher development. The laws of spiritual life are inexorable if, for whatever reason, they are not observed. And they must be established in all strictness simply as spiritual laws, whether or not there is a possibility of observing them.40. Soll man sich aller Kritik enthalten?
Es liegt folgende Frage vor: «Oft wird behauptet, daß sich derjenige aller Kritik enthalten solle, der eine Schulung im geheimwissenschaftlichen Sinne durchmacht. Ist damit auch jede gerechte Kritik wirklicher schlechter Taten von Menschen gemeint? Ist es nicht vielmehr unsere Pflicht, Schäden in unserer Umgebung und wo wir sonst Einfluß gewinnen können, auszumerzen, damit das Bessere an die Stelle des Schlechteren trete? Und sinkt ein Mensch nicht zur völligen Tatenlosigkeit herab, der alles mit absoluter Gleichgültigkeit betrachtet?» Zunächst ist darauf zu sagen, daß die Verhaltungsmaßregeln für den Geheimschüler Forderungen sind, die strengen Gesetzen entsprechen. Und sie besagen als solche nur etwas über den Zusammenhang zwischen der Erfüllung einer entsprechenden Forderung, und dem Aufwärtssteigen des Schülers in die höheren Welten. Du sollst dichderKritikenthalten, heißt: soviel du im Leben in Fällen, in welchen dich die Verhältnisse zu einem Tadel, einer Verurteilung reizen, diesem Reiz nicht folgst, sondern ohne alle Kritik an der Verbesserung des Schädlichen, Schlechten usw. arbeitest, in demselben Maße steigst du nach aufwärts. Es schließt die Enthaltung von der Kritik durchaus nicht ein, daß du gleichgültig an dem Schlechten, Bösen usw. vorbeigehest, und daß du alles läßt, wie es ist. Man soll nur suchen, das Schlechte in demselben Maße aus seinen Ursachen zu verstehen, wie man das Gute versteht. Durch das Begreifen der Ursachen wird man sich sogar am besten zur Arbeit für die Verbesserung rüsten. Nicht das Blindmachen gegen das Übel nützt, sondern die verständnisvolle Toleranz. Am klarsten drückt aus, was darüber zu sagen ist, der dritte von den vier ersten Sprüchen in «Licht auf den Weg»: «Ehe vor den Meistern kann die Stimme sprechen, muß das Verwunden sie verlernen.» Das heißt, Wesen einer höheren Welt sprechen zu dem Menschen nur, wenn sich seine Worte das lieblose Verletzen, den Tadel, der zu schmerzen oder zu betrüben geeignet ist, ganz abgewöhnt haben, und nur noch im Dienste liebevollen Umfassens der ganzen Welt gesprochen werden. Und mit den «Worten» sind hier auch die ungesprochenen Worte, die bloßen Gedanken gemeint. In dem Bereiten von Schmerz liegt das, worauf es ankommt. Der Meister und höhere Wesen sprechen zu uns nicht von außen, sie benutzen als das Mittel, sich mit uns zu verständigen, unsere eigenen Worte und Gedanken. Der Ton ihrer Stimme dringt durch uns, und geht von da durch diese Worte und Gedanken nach außen in die Welt. Und nur, wenn er diesen Weg offen und ohne Hemmung findet, wird er für uns hörbar. Worte und Gedanken, die Schmerz bereiten, sind wie spitzige Pfeile, die von uns ausgehen. Und an der Spitze findet der Ton des Meisters ein Hemmnis; er prallt zurück und bleibt unwahrnehmbar. Worte und Gedanken aber, die von Liebe gestaltet sind, öffnen sich wie Blumenkronen nach außen, die sanft die anderen Wesen umschließen; und bei ihnen findet des Meisters Stimme den Weg offen, um in die Welt zu dringen. Nur dadurch wird sie für uns hörbar.
Zweitens: ist man aber genötigt, Schmerz zu bereiten, hat man etwa gar die Verpflichtung als Richter oder Kritiker, dann gilt das Gesetz nicht minder. Auch der Schmerz, zu dem man verpflichtet ist, hemmt die Entwickelung. Man muß die Sache dann als sein Karma ansehen. Denn wollte man sich der Verpflichtung entziehen, um die eigene Entwickelung zu fördern, so würde man aus Selbstsucht handeln, und dadurch hielte man die Entwickelung in den meisten Fällen mehr auf, als man sie durch das Entziehen von der Schmerzbereitung fördert. Unter Umständen bringt man sich am besten vorwärts, wenn man in notwendigen Fällen auf die direkte Beobachtung einer Regel, deren Befolgung Förderung bewirkt, verzichtet. Ist man Erzieher, und dadurch genötigt, vielleicht fortwährend durch Strafen Schmerz zu bereiten, so kann man während dieser Zeit in bezug auf obige Regel gar nichts tun. Hat man dann aber den Zögling gebessert, so kommt diese gute Wirkung unserem Karma und dadurch doch unserer Höherentwickelung mittelbar zustatten. Die Gesetze des geistigen Lebens sind unerbittlich, wenn man sie aus welchen Gründen immer nicht einhält. Und sie müssen in aller Strenge einfach als Geistesgesetze aufgestellt werden, ob eine Möglichkeit, sie einzuhalten, vorliegt oder nicht.