Collected Essays on Philosophy, Science, Aesthetics and Psychology 1884–1901
GA 30
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75. The Theater of Natural Spectacles
M. Wilhelm Meyer has founded such a theater in the Berlin "Urania". He has just spoken about his intentions with this institution in a detailed article in the Norddeutsche Allgemeine Zeitung (supplement to the issues of April 8 and 9). His basic idea is that the theater should depict succession in time, that is, events in general. Up to now we have only stopped at events in human life. And even there one has limited oneself to a section. There are only a small number of dramas that do not focus on the events of love life. Meyer is an advocate of the scientific world view, in the form that it has taken in recent decades. For him, the processes in which man plays a role are only a small part in the great drama whose setting is the cosmos. The life of the cosmos, artistically grouped and combined, animated by the imagination working on the basis of the laws of nature, is what he wants to present theatrically. Within this great whole, man should appear with his destinies, not separated out for himself. How a star comes into being, how the inorganic realm unfolds on the star, how plant and animal life develops from it, how man comes into existence on its basis and is dependent on it: this is what Meyer wants to illustrate artistically. This is a laudable, a beautiful task. He had to atone for it. His colleagues at the "Urania" pushed him out of the institute because they found his work too unscientific, too popular. He didn't give enough boring lectures. He wanted to elevate science to the status of art and use the imagination to have an effect on the mind. Such a thing is unheard of in Germany...
So far, Meyer has our sympathies. But his essay has shown me that he suffers from the error of all those who profess a modern scientific world view. He fails to recognize that everything except human life is less important than human life. He imagines that man is but a grain in the universe and that it must be called a childish prejudice to regard man as the final link and goal of all existence. Modern Enlightenment thinkers call such a viewpoint anthropocentric and believe they have done a tremendous amount when they declare that the universe is infinitely greater than the small human being. We do not take this standpoint. We are followers of natural science in the most modern sense. But as little as we believe in providence in the Christian sense, we do believe that there is something infinitely more sublime in the smallest human destiny than in the cycle of millions of suns. And that is why we do not want to overestimate the theater of natural spectacles, especially not to make it out to be more important than the representation of human suffering and joy. That man recognizes himself, appreciates himself and becomes aware of his destiny: that is the most important thing on this earth. And the theater of natural spectacles - even if its creators do not want it - will ultimately lead man to the knowledge of man, that is, show him that the whole cosmos is only there for his sake. When he gains insight into the phenomena and processes that preceded his life, within which he stands, he will correctly assess his only position in 'the world, he will no longer believe that God sent his only begotten Son to free him from sinful shame, but he will realize that countless heavens are there to bring him forth in the end and let him enjoy his existence.
Das Theater Der Naturschauspiele
Ein solches hat M. Wilhelm Meyer in der Berliner «Urania» gegründet. Er hat sich soeben über seine Intentionen mit dieser Anstalt in einem ausführlichen Artikel der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung ausgesprochen (Beilage zu den Nummern vom 8. und 9. April). Sein Grundgedanke ist, daß das Theater das Nacheinander in der Zeit, das ist Vorgänge im allgemeinen, darzustellen habe. Bisher ist man bloß bei Vorgängen aus dem Menschenleben stehengeblieben. Und auch da hat man sich auf einen Ausschnitt beschränkt. Die Dramen, in denen nicht die Ereignisse des Liebeslebens den Mittelpunkt bilden, sind nur in geringer Zahl vorhanden. Meyer ist Bekenner der naturwissenschaftlichen Weltanschauung, und zwar in der Form, die diese in den letzten Dezennien angenommen hat. Die Vorgänge, in denen der Mensch eine Rolle spielt, sind ihm nur ein kleines Glied innerhalb des großen Schauspiels, dessen Schauplatz der Kosmos ist. Das Leben des Kosmos in künstlerischer Weise gruppiert, kombiniert, durch die auf Grund der Naturgesetze arbeitende Phantasie belebt, will er theatralisch darstellen. Innerhalb dieses großen Ganzen soll der Mensch mit seinen Schicksalen erscheinen, nicht ausgesondert für sich. Wie ein Stern entsteht, wie sich auf dem Sterne das unorganische Reich entfaltet, wie sich aus diesem das Pflanzen- und Tierleben entwickelt, wie auf dessen Grundlage der Mensch ins Dasein tritt und von ihm abhängig ist: das will Meyer künstlerisch veranschaulichen. Das ist eine löbliche, eine schöne Aufgabe. Er hat dafür büßen müssen. Seine Kollegen bei der «Urania» haben ihn aus dem Institute hinausgedrängelt, weil ihnen sein Wirken zu wenig wissenschaftlich, zu populär war. Er hat nicht genug langweilige Vorträge gehalten. Er wollte die Wissenschaft zur Kunst erheben und durch die Phantasie auf das Fassungsvermögen wirken. So etwas ist unerhört in deutschen Landen...
Soweit hat Meyer unsere Sympathien. Aber sein Aufsatz hat mir gezeigt, daß er an dem Fehler all der Bekenner moderner naturwissenschaftlicher Weltanschauung krankt. Er verkennt, daß alles außer dem Menschenleben doch minder bedeutend ist als dieses. Er bildet sich ein, daß der Mensch ein Körnchen im Weltall nur ist und daß es ein kindliches Vorurteil genannt werden muß, wenn man den Menschen als Endglied und Ziel alles Daseins betrachtet. Die modernen Aufklärer nennen solchen Standpunkt anthropozentrisch und glauben ungeheuer viel getan zu haben, wenn sie erklären, daß das Weltall unendlich viel größer ist als der kleine Mensch. Wir stehen nicht auf diesem Standpunkte. Wir sind Anhänger des naturwissenschaftlichen Bekenntnisses im modernsten Sinne. Aber so wenig wir an die Vorsehung im christlichen Sinne glauben, so sehr glauben wir daran, daß doch im kleinsten Menschenschicksal ein unendlich Erhabeneres liegt als im Kreislauf von Millionen Sonnen. Und deshalb möchten wir das Theater der Naturschauspiele nicht überschätzen, es namentlich nicht als eine wichtigere Sache hinstellen als die Darstellung menschlicher Leiden und Freuden. Daß der Mensch sich erkennt, sich würdigt und sich seiner Bestimmung bewußt wird: das ist doch das Wichtigste auf dieser Erde. Und das Theater der Naturschauspiele wird — auch wenn seine Urheber es nicht wollen — zuletzt den Menschen zur Erkenntnis des Menschen führen, das heißt ihm zeigen, daß der ganze Kosmos nur seinetwillen da ist. Wenn er Einblick in die Erscheinungen und Vorgänge gewinnt, die seinem Leben vorhergingen, innerhalb welcher er steht, wird er seine einzige Stellung in ‘der Welt richtig beurteilen, wird er zwar nicht mehr glauben, daß Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat, ihn von sündiger Schmach zu befreien, wird er aber einsehen, daß unzählige Himmel da sind, um ihn zuletzt hervorzubringen und ihn sein Dasein genießen zu lassen.