Collected Essays on Philosophy, Science, Aesthetics and Psychology 1884–1901
GA 30
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40. Dr. Richard Wahle
Brain and Consciousness
Physiological-psychological study. Vienna 1884
This work is one of those philosophical publications that are becoming increasingly rare in our time, which attempt to solve a specific scientific problem not from the point of view of any school of thought, but independently and without presuppositions. The author sets himself the task of explaining the significance of physiological research into the brain mechanism for the understanding of the phenomena of consciousness. First of all, he refutes the view generally held in scientific circles today that the world given to us directly through the senses, this complex of colors, sounds, shapes, differences in warmth and so on, is nothing more than the effect of objective material processes on our subjective organization. The world of appearances is therefore basically a subjective appearance that only lasts as long as we keep our senses open to the impressions of material processes, whereas these processes themselves are saturated with a reality of their own that is completely independent of us and are thus the true cause of all natural phenomena. Wahle now shows that the processes in matter have no higher degree of reality than the subjective world supposedly caused by them. We must regard both as occurrences present to us, which confront us as belonging together (coordinated), without our being entitled to assume that one is the true cause of the other. It is just as we must regard day and night, for instance, as coordinated without one of them being regarded as the effect of the other. Just as here the necessary succession is due to the structure and processes of our solar system, so also the coordination of a material process and a quality of sensation, for example, sound, color, and so on, will be conditioned by some true fact; but at any rate not by the fact that the former causes the latter. Now, the interrelation of brain mechanism and consciousness is only a special case of such coordination. According to Wahle, we are only in a position to perceive that both are parallel occurrences; but we are not entitled to regard consciousness as a real consequence of the brain mechanism. Physiology is right when it seeks the material correlates of mental phenomena; but the materialistic fantasy that wants to make the mind the true product of the brain is given the farewell letter. Indeed, Wahle even works against it by showing that the phenomena hitherto regarded in psychology as independent acts of consciousness, such as recognizing, rejecting, loving, desiring, willing and so on, are nothing other than occurrences coordinated with each other or with others, which do not at all necessitate the assumption of a special subjective activity, which would be unfavourable to physiology. The author traces the phenomena of consciousness back to a general law, whereby a conception can be recalled into consciousness by one that is not wholly but partially identical with it. Thus it would only be the task of physiology to find the corresponding mechanical fact in the brain for this psychological finding, which is certainly easier than if this had to be done for each of the above-mentioned alleged acts of consciousness.
The main significance of this little work lies in having shown in clear contours what experience actually gives us and what is often only added to it. All that the individual sciences can find consists only in the statement of related occurrences, whereby we must presuppose that the affiliation itself is founded in some true fact. We consider the author's argument to be quite convincing, but we believe that he has not drawn the final conclusion of his views. Otherwise he would probably have found that those true facts themselves are given to us as experiential occurrences - namely the ideal ones - and that the negation of materialism leads logically to scientific idealism. If, therefore, we actually see the right thing in the progression from the absolutely solid foundation laid by Wahle to a higher level of knowledge, then we unreservedly admit that we see in this work an outstanding achievement that will have a decisive effect on the branch of science to which it belongs and that will certainly occupy a place in the history of philosophy.
Dr. Richard Wahle - Gehirn und Bewusstsein
Physiologisch-psychologische Studie. Wien 1884
Diese Schrift ist eine von jenen in unserer Zeit immer seltener werdenden philosophischen Erscheinungen, die ein bestimmtes wissenschaftliches Problem nicht vom Standpunkte irgendeiner Schulrichtung, sondern selbständig und voraussetzungslos zu lösen versuchen. Der Verfasser stellt sich die Aufgabe, die Bedeutung der physiologischen Erforschung des Gehirnmechanismus für die Erkenntnis der Bewußtseinserscheinungen darzulegen. Zunächst widerlegt er die in naturwissenschaftlichen Kreisen heute allgemein geltende Ansicht, daß die uns unmittelbar durch die Sinne gegebene Welt, dieser Komplex von Farben, Tönen, Gestalten, Wärmedifferenzen und so weiter nichts weiter sei als die Wirkung objektiver materieller Vorgänge auf unsere subjektive Organisation. Die Erscheinungswelt sei also im Grunde ein subjektiver Schein, der nur so lange Bestand habe, als wir unsere Sinne den Eindrücken der materiellen Prozesse offenhalten, wogegen diese Prozesse selbst aus einer von uns ganz unabhängigen eigenen Wirklichkeit gesättigt und so die wahre Ursache aller Naturerscheinungen seien. Wahle zeigt nun, daß den Vorgängen in der Materie gar kein höherer Grad von Wirklichkeit zukommt als jener angeblich von ihnen bewirkten subjektiven Welt. Wir müssen beide als uns vorliegende Vorkommnisse betrachten, die uns als zusammengehörig (koordiniert) gegenübertreten, ohne daß wir berechtigt wären anzunehmen, das eine sei die wahre Ursache des anderen. Es ist so, wie wir etwa Tag und Nacht als einander koordiniert ansehen müssen, ohne daß das eine von beiden als Wirkung des anderen betrachtet werden könnte. So wie hier die notwendige Aufeinanderfolge in dem Bau und den Vorgängen unseres Sonnensystems begründet liegt, so wird auch die Koordination eines materiellen Prozesses und einer Empfindungsqualität, zum Beispiel Ton, Farbe und so weiter, von irgendeinem wahrhaften Tatbestand bedingt sein; jedenfalls aber nicht davon, daß der erstere die letztere bewirkt. Nun ergibt sich die Zusammengehörigkeit von Gehirnmechanismus und Bewußtsein nur als ein spezieller Fall einer solchen Koordination. Wir sind, nach Wahle, nur in der Lage wahrzunehmen, daß beide parallel verlaufende Vorkommnisse sind; wir sind aber nicht berechtigt, das Bewußtsein als reale Folge des Gehirnmechanismus anzusehen. Die Physiologie behält recht, wenn sie die materiellen Korrelate zu den geistigen Phänomenen sucht; aber die materialistische Phantastik, die den Geist zum wahrhaften Produkte des Gehirns machen will, erhält den Abschiedsbrief. Ja, jener arbeitet Wahle sogar entgegen, indem er zeigt, daß die bisher in der Psychologie als selbständige Akte des Bewußtseins geltenden Phänomene, wie Anerkennen, Verwerfen, Lieben, Wünschen, Wollen und so weiter, nichts anderes sind als miteinander oder mit anderen koordinierte Vorkommnisse, die gar nicht die Annahme einer besonderen subjektiven Tätigkeit, welche der Physiologie ungünstig wäre, nötig machen. Die Bewußtseinsphänomene führt der Verfasser auf ein allgemeines Gesetz zurück, wodurch eine Vorstellung durch eine ihr nicht ganz, sondern teilweise gleiche in das Bewußtsein zurückgerufen werden kann. So wäre es bloß Aufgabe der Physiologie, für diesen psychologischen Befund den korrespondierenden mechanischen Tatbestand im Gehirne zu finden, was gewiß leichter ist, als wenn das für jeden der obenangeführten angeblichen Bewußtseinsakte geschehen müßte.
Die Hauptbedeutung dieses Werkchens liegt darin, einmal in scharfen Konturen gezeigt zu haben, was uns eigentlich die Erfahrung gibt und was oft zu ihr nur hinzugedacht wird. Alles, was die einzelnen Wissenschaften finden können, besteht nur in dem Konstatieren zusammengehöriger Vorkommnisse, wobei wir voraussetzen müssen, daß die Hinzugehörigkeit selbst in irgendeinem wahrhaften Tatbestande gegründet liege. Wir halten das von dem Verfasser Vorgebrachte für durchaus überzeugend, glauben jedoch, daß er die letzte Konsequenz seiner Ansichten nicht gezogen hat. Sonst hätte er wohl gefunden, daß uns jene wahrhaften Tatbestände selbst als erfahrungsmäßige Vorkommnisse — nämlich die ideellen — gegeben sind und daß die Negation des Materialismus folgerichtig zum wissenschaftlichen Idealismus führt. Sehen wir somit eigentlich in dem Fortschreiten von der durchaus soliden Grundlage, die Wahle gelegt, zu einer höheren Stufe der Erkenntnis das Richtige, so gestehen wir doch rückhaltlos, daß wir in dieser Schrift eine hervorragende Leistung erblicken, die bestimmend auf den Zweig der Wissenschaft wirken wird, dem sie angehört, und die gewiß in der Geschichte der Philosophie eine Stelle einnehmen wird.