Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29
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Dramaturgische Blätter 1899, Volume II, 12
37. Note. Ibsen as a tragedian
In the February issue of the journal "Bühne und Welt", an essay by Johann Hertzberg (Stockholm, freely translated by E. Brausewetter) was published on "Ibsen as a tragedian". It appears to be an important chapter in modern dramaturgy. The author explains that in traditional aesthetics a distinction is made between three types of tragedy: tragedies of fate, in which the fate is controlled by supernatural or mystical powers; tragedies of character, in which the hero's fate depends on his own character; tragedies of situation, in which the catastrophe is a necessary consequence of certain general human conditions. None of these three types is strictly defined in Ibsen's work. His tragedies - and Hertzberg sees Ibsen as a poet of tragedy - show a mixture of styles. They can be categorized partly as one type and partly as another. - Although not in a completely clear way, Hertzberg nevertheless points out that this is a consequence of the world view resulting from modern knowledge. Today, we cannot recognize the existence of fate. Where a naïve mind sees such a thing, natural laws exist for us. Thus, for us, the two ideas of fate and the necessary connection resulting from the situations flow into one another. Let us take a look at the "ghosts". The tragic follows from the situation with natural necessity. "Mrs. Alving and Oswald are placed in a generally human, tragic situation, which is based on the insoluble contradiction between man's urge for full freedom and self-confidence and his helpless inferiority under the terrible and inexorable laws of heredity. On the other hand, they are very reminiscent of the ancient tragedy of fate. - They have no guilt upon them that can explain such a terrible fate." - This "can explain" is not complete. The explanation cannot be a moral one, but it is in the fullest sense of the word a natural law one. Because he transforms the artistic styles flowing from the old worldviews in the sense of the modern worldview: that is why Ibsen is so close to us. - We should therefore not speak, as Hertzberg does, of a mixture of the old types and styles; we should rather speak of the creation of a completely new kind of tragedy: the tragedy that results from the necessity of nature. When Hertzberg says: "In our time we have come to the realization that it is not a single factor that determines fate, but many together", we must add: They work together in the sense of nature, in which every fact arises from the interaction of many elements. The older world views were not based on this experience, but on a preconceived opinion that made any one of the factors - fate, character, situation - stand out in particular.
Notiz. Ibsen als Tragiker
Im Februarheft der Zeitschrift «Bühne und Welt» wurde ein Aufsatz Johann Hertzbergs (Stockholm, in freier Übertragung von E. Brausewetter) veröffentlicht, der «Ibsen als Tragiker» behandelt. Er erscheint als ein bedeutsames Kapitel der modernen Dramaturgie. Der Verfasser führt aus, daß man in der hergebrachten Ästhetik drei Arten von Tragödien unterscheide: Schicksalstragödien, in denen das Fatum von überirdischen oder mystischen Mächten gelenkt wird; Charaktertragödien, in denen das Schicksal des Helden von seinem eigenen Charakter abhängt; Situationstragödien, in denen die Katastrophe eine notwendige Folge gewisser allgemein-menschlicher Verhältnisse ist. Bei Ibsen finder sich keine dieser drei Arten streng festgehalten. Seine Tragödien — und Hertzberg sieht in Ibsen vorzüglich einen Dichter des Tragischen — zeigen eine Stilmischung. Man kann sie zum Teil zu der einen, zum Teil zur anderen Art zurechnen. — Obgleich nicht in einer ganz klaren Art, weist Hertzberg doch darauf hin, daß dies eine Folge der aus den modernen Erkenntnissen sich ergebenden Weltanschauung ist. Wir können heute kein waltendes Schicksal anerkennen. Wo ein naives Gemüt ein solches sieht, da sind für uns Naturgesetze vorhanden. Dadurch fließen für uns die beiden Vorstellungen des Schicksals und des aus den Situationen sich ergebenden notwendigen Zusammenhanges ineinander. Betrachten wir einmal die «Gespenster». Das Tragische folgt aus der Situation mit naturgesetzlicher Notwendigkeit. «Frau Alving und Oswald sind in eine allgemein-menschliche, tragische Situation gestellt, die auf dem unlösbaren Gegensatz zwischen dem Drang des Menschen nach voller Freiheit und Selbstvertrauen und seiner hilflosen Unterlegenheit unter die furchtbaren und unerbittlichen Gesetze der Erblichkeit beruht. Andererseits dagegen erinnern sie sehr an die antike Schicksalstragödie. — Sie haben keine Schuld auf sich geladen, die solch eine schreckliche Schickung erklären kann.» — Dieses «Erklären-kann» ist nicht vollständig. Die Erklärung kann allerdings keine moralische sein, aber sie ist im vollsten Sinne des Wortes eine naturgesetzliche. Weil er die aus den alten Weltanschauungen fließenden künstlerischen Stilarten im Sinne der modernen Weltanschauung umwandelt: deshalb steht uns Ibsen so nahe. — Man sollte also gar nicht, wie Hertzberg es tut, von einer Vermischung der alten Arten und Stile sprechen; man sollte vielmehr von der Schöpfung einer ganz neuen Art der Tragik sprechen: von der Tragik, die aus der Naturnotwendigkeit sich ergibt. Wenn Hertzberg sagt: «In unserer Zeit ist man zu der Erkenntnis gekommen, daß nicht ein einzelner Faktor das Schicksal bestimmt, sondern viele zusammen», so müssen wir hinzufügen: Sie wirken eben zusammen im Sinne der Natur, in der jede Tatsache aus dem Zusammenwirken vieler Elemente entsteht. Die älteren Weltanschauungen gingen nicht von dieser Erfahrung, sondern von einer vorgefaßten Meinung aus, die ihnen irgend einen der Faktoren: Schicksal, Charakter, Situation besonders in die Augen springen ließ.